erschienen in der Kolumne „Zwischen Menschen“ in taz. Die Tageszeitung, 17.5.2024

Ein Sechser-Abteil mit zwei schlafenden Frauen. Eine lehnt ihren Kopf an das Fenster, die andere schräg gegenüber an die Gangtür. Beide sind jung und sehen aus, als würden sie sehr tief schlafen. So wie Kinder schlafen. Schwer und hingebungsvoll.

Die Atmosphäre im Abteil hat etwas Behagliches. Es ist warm und ruhig, ich fühle mich sicher und geborgen, umhüllt vom Schlaf der Frauen. Kurz darauf schlummere ich auch ein. Keine von uns kennt sich. Wir schlafen jede für uns in unserer Welt, während die Landschaft an uns vorbeirauscht.

Als ich aufwache, fühle ich, dass ich etwas geträumt habe, an das ich mich nicht mehr erinnern kann. Die Abteiltür geht auf. Die zwei anderen Frauen wachen auch auf. Ein Mann in Zimmermannshose mit zwei großen schwarzen Schäferhunden steht im Türrahmen. Fast ist es wie in einem Traum, wie die schwarzen Hunde uns anblicken: „Ist es für euch okay, wenn ich mit den Hunden dazukomme?“

Wir nicken. Der Mann setzt sich auf den Platz an der Tür, die Hunde sinken neben ihn und füllen den ganzen Abteilboden aus. Sofort breitet sich ein Geruch von nassem Hund aus. Ein intensiver Duft, der sich wie eine Decke über alles legt. Als der Mann die Abteiltür wieder zumachen will, sage ich schnell: „Lass ruhig ein bisschen Luft durchziehen.“

So sitzen wir zusammen im Geruch der Hunde. Als der Mann aufsteht und aus dem Abteil Richtung Bordrestaurant geht, steht einer der beiden Hunde auf und sieht ihm starr im Gang hinterher, ohne ihm nachzulaufen. Er scheint genau zu wissen, was er darf. Die Hunde sind nun ohne Herrchen. Ein anderer Fahrgast drückt sich respektvoll an dem Hund im Gang vorbei.

Als der Mann mit einem großen Kaffee zurückkommt, wedelt der Hund mit dem Schwanz. Der Mann greift in das Fell des Hundes und krault ihn mit kräftigen Händen: „Sie ist so. Sie ist immer ganz wachsam, wenn ich weggehe“, sagt er. Seine Zimmermannshose ist voller Hundehaare. Die Hunde scheinen sehr eng mit ihm zu leben.

Keine von uns schläft nun wieder ein. Dazu riechen die Hunde vielleicht zu stark. Der Geruch ist fast so deutlich, als ob Musik spielen würde. Doch auch mit den Hunden im Abteil ist die Atmosphäre friedlich. Schließlich steigt der Mann mit den Hunden aus. Eine Weile noch hängt der Geruch wie ein Zitat im Raum. Dann verflüchtigt er sich.

An der nächsten Station steht eine Zugbegleiterin in der Tür. Sie will wissen, ob bei uns noch Platz für einen Mann wäre. In der Art, wie sie für ihn fragt, erwarte ich nun einen Jungen oder einen hilflosen Menschen.

Als wir bestätigen, nickt sie den Gang hinunter. Ein kräftiger Mann steigt zu uns. Auch er macht die Schiebetür hinter sich zu. Als er sich hinsetzt, verändert sich sofort die Energie im Raum. Ein Geruch von Rauch breitet sich aus. Der Mann scheint gerade auf dem Bahnsteig geraucht zu haben. Und er scheint auch sonst ein starker Raucher zu sein. Der Rauch weht um ihn, er dünstet ihn aus.

Der Geruch hat etwas Festes, Kompaktes. Er bestimmt den Raum. Als würden die Duftmoleküle die Luft im Abteil zusammenpressen. Der Mann bewegt sich höflich und leise. Doch sein Geruch hat etwas Übergriffiges. Manchmal ist der Geruch von Menschen wie ein Schrei. Ein Signal, wer sie sind, was sie tun, lieben oder vernachlässigen.

Im Nachhinein erscheint es mir richtig, dass die Zugbegleiterin extra für den Mann gefragt hat, ob er dazusteigen könne, auch wenn ihr der Rauch vielleicht gar nicht bewusst war. Unvorstellbar wäre es, in diesem Raum wieder einzuschlafen.

Ich blicke auf die beiden Frauen. Der Geruch scheint sie nicht zu stören oder sie zeigen es nicht. So sitzen wir zusammen. Fast ist es, als würde nun ein drittes Kapitel der Fahrt beginnen. Wir sind nicht mehr verbunden im Schlaf. Und im Geruch des Hundes. Nun sind wir vereint im Rauch.

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