erschienen in der Kolumne „Zwischen Menschen“, in taz. die Tageszeitung, 6.9.2022
Wir haben so viele Dinge. Dinge, die wir tragen, heben, um uns haben. Es sind die Dinge, die etwas aus uns machen. Wie wir uns durch den Alltag bewegen und wer wir sind. Es sind die Dinge, die uns als Menschen prägen. Sie ‚dingen‘ uns. Be-dingen unser Leben.
Ich fahre in Hamburg am Gerichtsgebäude vorbei, Richtung Planten un Blomen. Eine Frau kommt mir auf dem Bürgersteig entgegen. Sie trägt ein Paar lila Rollschuhe über der Schulter, in der Hand eine große, durchsichtige Tüte mit vielen aufgeblasenen Luftballons.
Wie schön diese Dinge aussehen. So spielerisch und leicht: Rollschuhe und bunte Luftballons. Wird sie gleich bei Planten un Blomen auf der Rollschuhbahn laufen gehen? Was macht sie wohl mit den Ballons?
Ich schaue auf die anderen Menschen um mich, mit Aktenkoffern, Kopfhörern. Plötzlich konzentriert sich mein Fokus auf die Dinge: Was für Dinge tragen wir eigentlich sonst?
Das häufigste Ding, eine Art Menschding geworden, ist ja das Smartphone, über das wir uns beugen, den Kopf senken. Es steuert unsere Hand- und Körperbewegungen, unsere Konzentration, unseren Blick. Eher ein zusätzliches Körperteil als ein Ding, fällt es uns sofort auf, wenn es fehlt. Auch sonst ist es meist funktional, was man trägt und hält. Taschen, Rucksäcke. Was sind aber die Dinge, die abweichen, die Teil oder Ziel von etwas Besonderem im Alltag sind?
Im Studium meinte mal einer, dass ihm die Stadt, in der wir studieren, nicht gefalle, weil so wenig Abweichendes im Stadtbild geschehe. In seiner Heimatstadt passiere es einfach mal, dass einer ein Cello ohne Hülle über die Straße trägt. Das würde ihm hier fehlen.
Kinder tragen oft besondere Dinge mit sich: Äste, Puppenwagen, Stofftiere, Spiel-Zeug. Zeug zum Spielen: Wann habe ich das letzte Mal etwas Spielerisches getragen?
Früher bin ich einmal mit einer großen Schaufensterpuppe vom Flohmarkt durch die Straßen gegangen. Als ich diese Puppe im Arm hielt, schauten mich alle an und lächelten.
Wenn ich Filme mache, wie zuletzt meinen Dokumentarfilm „Die Ecke“, passiert oft etwas, weshalb ich bestimmte Dinge organisieren oder halten muss. Wir tragen einen riesigen Sonnenschirm über die Straße und befestigen ihn an einem Laternenpfahl. Ich trage ein Megafon, große Kreidestücke oder Küchenstühle aus einem Haus, die wir aufstellen. Und das hat etwas Schönes beim Filmen, dass man selbstverständlich Dinge aus einem anderen Zusammenhang in den Alltag überführt, um etwas aufzubauen und zu gestalten.
Wenn Menschen Blumen tragen, hat das auch immer etwas Besonderes. Menschen mit einem Blumenstrauß in der Hand sehen nie unglücklich aus. Letztens in der U-Bahn habe ich einen Mann gesehen, der einen riesigen Käfig mit einem Kanarienvogel mit sich trug. Er kam mit allen Menschen in der Bahn ins Gespräch.
Menschen, die zusammen ein Boot zum Wasser tragen, sehen glücklich aus. Jugendliche, die irgendwohin einen Grill schleppen, die zusammen Skateboard fahren. Sie haben diesen leuchtenden Ausdruck im Gesicht, ein Lächeln. Es ist der unbewusste Stolz, ein Ding mit sich zu tragen, das von einem besonderen oder gar abenteuerlichen Vorhaben erzählt.
Momente mit besonderen Dingen sind oft die lebendigsten Momente in unserem Leben.
Und vielleicht ist es gut, darauf zu achten. Wann tragen wir Dinge des Besonderen und nicht des Alltäglichen mit uns herum? Und wie oft machen wir das eigentlich?
Und dann sind da die besonderen Dinge, die nicht an uns, aber im Raum hängen: Eine Geige, die plötzlich im Baum baumelt, einfach so. Ohne Verweis oder Erklärung. Oder Ballettschuhe, die jemand in einen Strauch gehängt hat: Irritationen im urbanen Raum. Street art ist auch eine Eroberungsstrategie, sich den Raum, der konform ist, zurückzuholen. Ihn mit Ritzen, Aufwürfungen, Fragezeichen zu versehen. Ihn selbstwirksam zu gestalten. So ist es auch an uns. Je mehr wir die absurden Dinge an uns lassen, umso mehr be-dingen sie das Besondere in unserem Leben.