erschienen in der Kolumne „Zwischen Menschen“ in taz. Die Tageszeitung, 25.2.2023
Da standen sie vor einem Jahr. Drei Frauen aus der Ukraine, drei Generationen. Oma, Mutter, Tochter – und ein Hündchen. Klein genug, dass es in ihr Gepäck passte. Groß genug, dass es ihren Weg mitbestimmen sollte, hier im neuen Land. Drei Frauen von vielen Geflüchteten aus der Ukraine, die an diesen Tagen ankamen am Hamburger Hauptbahnhof.
Mich berührte ihre Geschichte, als ich vor Ort über die Ankommenden schrieb, weil die drei nicht ihr Hündchen abgeben wollten, als sie in die Großunterkunft für Geflüchtete sollten. Mit ihnen kam ich ins Gespräch, mit ihnen hielt ich den Kontakt.
Die Mutter schickte mir ein Video aus der Großunterkunft: „Es ist schrecklich hier“, sagte sie auf Englisch. Sie wollte möglichst schnell in Hamburg ankommen, für ihre Tochter eine Zukunft schaffen. Es war ihr klar, dass der Krieg noch andauern würde.
Ich fragte in meinem Bekanntenkreis nach und eine nette Familie außerhalb Hamburgs wollte die Familie mit dem Hündchen in ihr Haus aufnehmen. Doch das war der Mutter zu weit weg. Sie fragte mich, ob ich sonst Wohnungen wüsste, in denen auch Haustiere erlaubt sein würden.
„Der Hund ist ganz unscheinbar“, wiederholte sie, als würde der Hund den Charakter der ganzen Familie ausdrücken. Wie durch ein Wunder fand ich über einen Bekannten tatsächlich eine kleine Wohnung, nah am Zentrum. Eine Wohnung für sie allein. Günstig genug, dass das Amt die Kosten übernehmen würde. Ein Anfang.
Ich dachte, dass sie sich freuen würden, doch nach der Besichtigung kam eine Sprachnachricht der Mutter: „Die Wohnung ist im fünften Stock, meine Mutter hat damit Schwierigkeiten. Es gibt gar keine Möbel. Nur einen Kühlschrank und eine Waschmaschine.“
Das Beeindruckende war dann, wie ihnen der Vormieter der Wohnung, ein Student, half. Er besorgte über Ebay-Kleinanzeigen Möbel, die dort verschenkt wurden: Tische, Stühle, Betten, ein Sofa, Matratzen, Bettwäsche, Handtücher, Besteck, eine komplette Wohnungseinrichtung. Er organisierte auch kostenlos einen Sprinter, mit dem wir zu Dritt die Möbel überall in der Stadt abholten.
Es war damals zu spüren, wie schockiert die Menschen über den Angriffskrieg in der Ukraine waren. Wie sie sich freuten zu hören, dass die Möbel für ukrainische Geflüchtete seien. Eine Frau gab sogar ein noch fast neues Handy von ihr dazu. Wir trugen die Möbel in den fünften Stock hinauf. Kommilitoninnen des Studenten halfen.
Die drei ukrainischen Frauen waren glücklich. Sie bauten Getränke und Essen auf einem kleinen Tisch auf. Die meisten von den Helfenden aßen von den Radieschen, das einzige, das keine Süßigkeit war. Radies-chen: Die Mutter wiederholte das Wort, wie um es sich einzuprägen für ihr neues Leben. Die Deutschen mögen Radieschen.
Der Student organisierte auch sonst alles für die Familie, half ihnen mit dem Amt. Er hatte gerade ein paar Tage Zeit. Auch mir ging es so. Ich erinnere mich noch an eine Szene, als wir das Bett aufgebaut hatten. Wie die Mutter nach Hause kam, weil sie zuvor etwas mit dem Sprachunterricht geregelt hatte, und wir ihr stolz das Bett zeigten. „Es ist zu groß“, sagte sie.
Es war, als läge ihre Freude unter einer Schicht, als wüsste sie, dass diese Wohnung nur ein „als ob“ war. Sie fragte mich in den kommenden Wochen recht schnell, ob ich eine andere Wohnung für sie wüsste und Wohnungen für andere Menschen, sie schickte mir Bilder von Schrauben, die sie benötigte.
Ich versuchte ihr auch andere Personen und ehrenamtliche Stellen zu vermitteln, die ihr helfen. Der Student und ich hatten nun nicht mehr so viel Zeit wie am Anfang. Es ist viel Arbeit, einer Familie beim Ankommen zu helfen. Es braucht dafür viele.
An Weihnachten schickte mir die ukrainische Familie ein Video. Sie sitzen zusammen mit dem Hündchen auf dem Sofa in ihrer neuen Wohnung außerhalb Hamburgs, die die Mutter gefunden hatte. Ein Weihnachtsbaum leuchtet. Sie wünschen zusammen frohe Weihnachten, Glück und Zufriedenheit und wechseln sich ab beim Sprechen. Sie sprechen auf Deutsch. Sie sehen froh und stolz aus.