erschienen in der Kolumne „Zwischen Menschen“, taz. die Tageszeitung, 22.6.2018

Unter mir wackelt der Boden, innerlich schwanke ich auch. Der Mann vor mir wirkt auf einmal zu fremd für das, was wir heute vorhaben. Groß und ernst steht er am Anleger: Matthias. Er lächelt, als hätte er nicht damit gerechnet, dass ich komme. Am Tag zuvor sind wir zufällig auf der Fähre ins Gespräch gekommen. Er ist Pfälzer und Frührentner. Jedes Jahr reist er zum Hamburger Freihafen, nicht wegen der Schiffe, sondern wegen der Züge, die von hier wegrollen mit Containerfracht. Matthias ist ein sogenannter Trainspotter, einer, der an Gleisen Züge fotografiert.

„Wenn Du morgen Zeit hast“, hat er gesagt, „dann zeige ich Dir den Hafen. Ich kenne den Hafen richtig gut.“ Ich kenne den Hafen nicht. Wie für viele Hamburger ist der Freihafen auf dem anderen Elbufer für mich ein schönes Leuchten in der Nacht, ein tiefes Dröhnen, ein unbekanntes Land. Ich möchte das nicht mehr: dorthin schauen, ohne zu wissen, was ich sehe. Deswegen ziehe ich jetzt mit einem Pfälzer in den Hafen. Ist es nicht oft so, dass man sein eigenes Unbekanntes erst durch andere versteht?

Wir steigen auf das Schiff, Linie 61, Richtung Waltershof. Von dort fahren wir mit dem Bus über die Köhlbrandbrücke, laufen zum Zollamt, zu Lastwagen, Lagerhallen, Kränen. Dann will Matthias in die Seemannsmission „Duckdalben“: Hier war er selbst noch nicht.

Die Mission liegt hinter den großen Docks: ein Häuschen mit Garten inmitten von Stahl und Lärm. Von hier holen Ehrenamtliche mit einem Bus die Seeleute von den Containerschiffen ab, damit sie in der Seemannsmission ausruhen können. Als wir eintreten, chatten philippinische Seeleute an Computern. Es gibt eine Bar mit Flaggen aus aller Welt.

Matthias bestellt einen Kaffee, ich suche die Toilette. Dabei entdecke ich eine halboffene Tür. Vorsichtig betrete ich den Raum. Licht fällt durch schräge Fenster hinein. Ich staune: Ein muslimischer Gebetsteppich liegt hier, davor steht ein Tischchen mit einem Koran. Direkt daneben ist ein Altar mit Kreuz und christlichen Heiligenbildern aufgebaut. In der Nähe steht ein Tisch mit Buddha-Statuen und einem Text des Dalai Lamas: „Never give up“. Es gibt einen jüdischen Tisch mit einem siebenarmigen Kerzenleuchter und einer aufgeschlagenen Tora, eine Ecke mit Bildern von Hindu-Göttern.

Das hier ist keine Kirche, entspringt keinem ausgeklügelten Konzept. Hier hat jemand nach bestem Wissen und Respekt alle Weltreligionen nebeneinander aufgestellt: ein Angebot für die verschiedenen Seeleute zum Beten, Meditieren, Stillsein. Ein Raum für alle.

Ich muss schlucken. Dieses Unbedarfte rührt mich. Die Vielfalt von Welt, die sonst zu lauten Debatten führt, hat hier selbstverständlich Platz. Seeleute sind oft wochenlang auf einem Schiff in internationaler Besatzung unterwegs. Dieser Raum zeigt, dass wir alle in einem Boot sitzen, nur mit verschiedenen Techniken. Es hat etwas Einfaches, fast Kindliches, wie die Religionen hier mit ihren Symbolen angeboten werden. Doch dann denke ich: Vielleicht ist dieser Raum trotz allem guten Willen auch genau ein Bild dafür, woran es scheitert. Dass Religionen auf das Kreuz, den Koran, auf ihre Unterschiede reduziert werden. Ein Tischchen für jeden Gott. Doch Glaube, ist das nicht universeller, innerlicher, mehr?

Für viele scheint es zu reichen. An der Tür liegt ein Gästebuch. In eckiger Handschrift steht da: „Eine ganze Welt im Glauben vereint … in einem Raum … Was für ein schöner Gedanke, gerade in dieser heutigen Zeit.“ Oder:„Dieser Ort sollte als Beispiel für die ganze Welt dienen. Wenn wir nur wollen, geht alles.“ Dann Persönliches: „I’m not happy with shipping, but I’m happy with Germany.“

Als ich den Raum verlasse, unterhält sich Matthias auf Englisch mit breitem pfälzischem Akzent mit einem Ehrenamtler und einem Seemann. Auf einmal merke ich, wie offen er ist, in was für verwinkelte Ecken ihn seine Eisenbahn-Leidenschaft trägt. Ohne Matthias hätte ich diesen Ort nicht entdeckt. Vielleicht geht es ja letztlich darum. Den Versuch. Besser etwas machen, einen Raum öffnen, als es gar nicht erst probieren. Der Hafen selbst zeigt es ja: Sein Leuchten sieht man von der anderen Seite, seine Wärme spürt man erst mittendrin.

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