erschienen in der Kolumne „Zwischen Menschen“ in taz. Die Tageszeitung, 23.8.2024
Ein Park in Altona: Auf dem Hundeauslaufplatz tollen Hunde herum. Kleine und große Hunde, verschiedene Fellfarben wirbeln durcheinander. Da ist ein ausgelassenes Bellen. Ein Jaulen von zwei, die umeinander springen, sich kurz verhaken. Dann der Befehl eines Menschen. Und wieder löst sich alles, ist ein Spiel. Die Menschen, zu denen die Hunde gehören, stehen eher ruhig miteinander, wie Linienrichter um einen Platz, in dem sich das Spiel zuträgt. Sie blicken ihre Hunde stolz an, als wären sie ihre Kinder. Sie kommen miteinander über die Hunde leicht ins Gespräch: Der Hund – Brücke zwischen Menschen.
Bereitwillig stülpen die Menschen auch Plastiktüten über ihre Hände und bringen den Kot ihrer Hunde weg. Kein Ekel, kein Staunen darüber. Auf dem Hundeauslaufplatz wirken Menschen meist voller Liebe, Leichtigkeit und Hingabe an ihre Tiere.
Neben dem Platz, auf einem schmalen Stück zwischen dem Zaun und einem Weg, steht ein älterer Mann. Er sieht etwas verloren aus. Er hat keinen Hund, er scheint auch sonst zu niemandem zu gehören. Er trägt eine abgetragene Jeans. Woher er kommt, zu was er will, ist nicht auszumachen an diesem schmalen Zwischenort.
Dann zieht der Mann auf einmal seinen Hosenbund hinab, er muss die Hose nicht öffnen, damit sie sich über seine Hüften hinunter bewegt. Er hat keinen Schutz und er scheint auch keinen zu suchen. Die Hose gleitet seine Beine hinunter, landet zusammengerollt auf den Schuhen. Der Mann ist nun unten herum ganz nackt. Sein Hinterteil ist entblößt. Stehend schiebt er es nach hinten und presst.
Wer hier auf dem Fußweg läuft, sieht ihn. Es ist fast unmöglich, ihn zu ignorieren. Er presst im Stehen, völlig enthemmt, ohne Scheu, als säße er auf einer Toilette. Es ist ja auch das, was alle Menschen tun und worüber meist nicht gesprochen wird. Die Notdurft ist etwas oft Tabuisiertes, Unsichtbares, wenn es nicht gerade um die vollen Windeln kleiner Kinder geht. Jedes Geräusch, jeder Geruch um unser Geschäft wird versteckt, schnell beseitigt. Um etwas so Selbstverständliches, Alltägliches besteht so viel Scham.
Doch der Mann verrichtet sein Geschäft in aller Öffentlichkeit. Fast scheint es wie ein Akt des Protests: ein Ich-scheiß-auf-alles-und-auf-Euch. Er steht dort in seiner nackten, gebogenen Pose wie eine Statue, die bildhauerisch herausgearbeitet wurde. Und hinter ihm tollen die Hunde, gibt es den Platz für das Spiel der Haustiere, mit Menschen, die sie sorgsam überwachen.
So sehr die öffentliche Privatheit des Mannes überrascht, hat sie auch etwas Natürliches. Er steht da auch wie ein Symbol für den ewigen Kreislauf von Verdauung, dem natürlichen Ende der Nahrungskette von Essen und Ausscheiden, etwas zu sich nehmen, loslassen. Geboren werden, groß werden, alt werden und sterben. Wie wir eben müssen und gleich sind bei allen vermeintlichen Unterschieden als Mensch.
Doch dann sind sie da, die irritierten Blicke auf ihn. Auch der Menschen vom Platz, die ihre Hunde um ihr öffentliches Geschäft nicht verurteilen. Und die Blicke bringen weitere Gedanken.
Womöglich ist der Mensch obdachlos. Vielleicht besitzt er einfach kein Klo. Und hier sind keine Büsche, in die er sich zurückziehen kann. Der Mann hat auch kein Klopapier bei sich. Er hat keinen privaten Raum für sein Geschäft. Ja, wohin soll er denn auch gehen? Es gibt insgesamt zu wenige öffentliche Toiletten, zu wenig sanitäre Anlagen für obdachlose Menschen, zu wenig Rückzug. Was für ein Privileg, eine Toilette zu besitzen, die jederzeit selbstverständlich da ist! Wohnraum bedeutet auch, sich den Blicken anderer entziehen zu dürfen. Für Intimität, Hygiene. Der Mann im Park macht auch sichtbar, was fehlt.
Er muss. Wie wir alle.
Foto (Symbolbild): Christa Pfafferott