Was von der Frankfurter Buchmesse bleibt:
„Asterix und Obelix“ haben mir einen Schlag auf den Hinterkopf versetzt. Ich fahre von der Frankfurter Buchmesse und fühle mich matt, k.o. geschlagen. An mir rauscht eine dunkler werdende Landschaft vorbei, und ich spüre das schale Gefühl, dass ich zur richtigen Zeit am richtigen Ort war – und das Falsche erlebt habe.
„Stark! Asterix und Obelix getroffen“ habe ich getwittert. Nach einem beruflichen Termin in Frankfurt hatte ich noch drei Stunden Zeit vor meiner Abreise und habe sie für die Buchmesse genutzt:
Es war Samstag, Besuchertag, die Sonne schien, ich habe in den Hallen meine Lieblings-Verlage besucht, saß in der sogenannten „Agora“, dem Innenhof des Messegeländes, inmitten von Menschen, die sich als Figuren aus Büchern und Comics verkleidet haben. Ich habe die Atmosphäre von Literatur und Fantasie genossen. Etwa zu dem Zeitpunkt, als ich die zwei Männer im Asterix und Obelix-Kostüm fotografierte, sind in Halle 4 der Buchmesse, unweit von mir entfernt, bei Veranstaltungen des politisch rechts gesinnten Antaois-Verlag Ausschreitungen passiert. Der Thüringer AfD-Landes- und Fraktionschef Björn Höcke ist aufgetreten, linke Gegendemonstranten haben protestiert, rechte Anhänger skandierten, es kam zu körperlichen Auseinandersetzungen.
All dies habe ich erst im Zug auf dem Rückweg durch soziale Medien erfahren. Danach begann sich die Dunkelheit vor dem Fenster in mit abzusetzen. Denn die Erfahrung, bei etwas dabei zu sein und es nicht erlebt zu haben, fühlte sich für mich wie eine große Metapher an:
Auf der Frankfurter Buchmesse, wo der Geist von Freiheit und der Vielschichtigkeit der Welt weht, sind lautstark Rechte aufgetreten, die keinen Respekt für diese Verschiedenartigkeit zeigen. Während ich in der Sonne saß und mich über die Messe gefreut habe, wurde es drinnen dunkel. Mir ist so schmerzhaft bewusst geworden, wie unmittelbar die Freude an der Kultur und der Kulturverlust nebeneinander stehen: Als würde ich auf einem Fundament sitzen und die Aussicht genießen, und nur mit einem Blick hinab – nur mit ein paar Schritten in die Halle nebenan – könnte ich bemerken, dass an diesem Fundament schon längst gesägt wird.
Natürlich kann man jetzt sagen: Du kannst Dich doch nicht für etwas verantwortlich fühlen, von dem Du nicht gewusst hast! Aber geht es nicht genau darum?
Während wir unsere demokratischen und kulturellen Werte als selbstverständlich nehmen, findet parallel in den für uns wichtigen Bereichen der Gesellschaft ein rechter Einzug statt; ein rauer Tonfall, ein hartes Denken gegenüber Migranten und Minderheiten.
Ich stand im wahrsten Wortsinne in der „Agora“. In der griechischen Antike war dies der Markplatz, der Austauschort, der Tagungsplatz für die Polis. Und ich war an diesem Ort und habe nichts mitbekommen. Dieses konkrete Ereignis hat mir klar gemacht: Es ist mehr als je zuvor in meinem Leben wichtig, den privaten und gesellschaftlichen Ort als eine „Agora“ zu begreifen: Eine Agora, in der wir handeln, denken, in der wir uns auch dem Spaß, der Freude am Leben hingeben, aber in der wir diskutieren, Bescheid wissen und uns einmischen.
Dies war das eine: Das andere, was eine schale Stimmung in mir hinterließ, war die unmittelbare Reaktion der Buchmesse zu dem Ereignis.
Ihr offizielles Statement war dünn: „Während der letzten Tage gab es auf der Frankfurter Buchmesse gezielte Provokationen, Sachbeschädigungen und tätliche Übergriffe zwischen linken und rechten Gruppierungen“, hieß es u.a. (hier das ganze Statement). Doch dass dort Menschen rechter Gesinnung auftreten und sich exponieren dürfen, wurde nicht als falsch tituliert. Es war keine klare Haltung dazu zu lesen.
Natürlich unterliegen Statements (hoffentlich) immer komplexen Zusammenhängen und Interessen, die man von außerhalb oft nicht vollständig einsehen kann. Doch ich hätte mir eine deutlichere Distanzierung der Buchmesse zu den Ereignissen, die von den rechten Verlagsständen ausgingen, gewünscht. In Zeiten eines gefährlichen Rechtsrucks halte ich es für wichtig, dass sich eine internationale Buchmesse als Gastgeber als „Agora“ begreift und eine klarere Position bezieht.
Verständlicher wurde die Einstellung der Buchmesse erst einen Tag später für mich, als sich der Buchmessen-Chef Juergen Boos in einem Interview bei Spiegel Online äußerte: Er meinte, die Buchmesse sei „eine Handelsmesse mit Monopolstellung weltweit“ der rechte Verlage zulassen müsse. „Das heißt, wenn wir den Zugang verwehren, kann man dagegen rechtlich vorgehen“. Er sagte: „Wir lehnen die politische Haltung und verlegerischen Aktivitäten der Neuen Rechten entschieden ab. Ich will die rechten Verlage nicht hier haben, aber wir müssen sie zulassen.“
Ich hätte es gut gefunden, wenn die Buchmesse diese Einstellung unmittelbar in ihrem offiziellen Statement verkündet hätte und sich zu den Ereignissen auf Twitter geäußert hätte, anstatt dort zu diesem Zeitpunkt über den Stargast Dan Brown zu berichten.
Manchmal tragen wir für etwas Verantwortung, weil wir nichts unternommen haben – und auch, weil wir nichts davon gewusst haben.
In unserer Zeit des Rechtsrucks ist es für Privatpersonen wie für Institutionen wichtig, die Agora wörtlich zu nehmen, sich auszutauschen, sich einzumischen und die eigene Meinung kundzutun: Um eben nicht dann über Ereignisse erschüttert zu sein, wenn man sie nicht mehr beeinflussen kann.
Mein eigenes Bild, das ich von Asterix und Obelix gemacht habe, wird damit für mich eine Erinnerung bleiben: Eine Erinnerung dafür, dass meine Freude über Kultur nicht selbstverständlich ist, dass ich an meinen Orten etwas dafür tun muss.
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