Der Pfandraum – taz
erschienen in der Kolumne „Zwischen Menschen“ in taz. Die Tageszeitung, 3.5.2024
Ich stehe an einem der trübsten Orte der Welt. Einem Pfandvorraum einer Supermarktkette. Einer der Orte, in dem Menschen große Einkaufswagen durch die Gänge stoßen und sich gegenseitig den Platz nicht gönnen. Im Pfandvorraum begleitet das Surren des Automaten meine Gedanken. Zwei der Maschinen sind außer Betrieb, an einer schiebt eine ältere Dame eine Plastikflasche nach der anderen in den Schlund, als würde sie ein großes Tier füttern.
Als der Automat ihre letzte Flasche schluckt und sie schon die Hand ausstreckt, um den Pfandbon herauszuziehen, fängt die Maschine an zu piepen. Zuerst wird die Digitalanzeige schwarz, dann leuchtet ein Text auf: „Betriebsstörung. Bitte kontaktieren Sie das Supermarktpersonal.“ Die Frau dreht sich zu mir um: „Mensch. Gerade jetzt“, sagt sie.
Ich blicke sie an. Sie hat ein kleines, unruhiges Gesicht mit blauen Augen, die früher bestimmt einmal schön waren und jetzt durch einen nervösen Ausdruck verklärt werden. Vorn im Mund fehlt ihr ein Schneidezahn.
„Können Sie mal drinnen nach einem Mitarbeiter fragen“, sagt sie zu mir. „Ich bleibe hier bei meinen Flaschen.“
Ich fühle Müdigkeit in mir aufsteigen bei dem Gedanken, jetzt samt meinem Leergut im großen Supermarkt ihre Angelegenheit zu regeln. Aber ich merke, dass sie das Revier verteidigen will. Sie hat Angst um ihr Pfand.
Ich stelle mich vorn an die Kasse, wo Menschen riesige Einkaufsmengen auf das Band legen. „Entschuldigen Sie bitte“, sage ich nach einer Weile zu einem Mitarbeiter, der parallel Waren scannt und in sein Headset spricht. „Da vorne im Pfandraum ist eine Dame, die ihren Pfandbon nicht bekommt.“
„Was?“ Er dreht sich unwillig zu mir um. Dann spricht er in sein Headset: „Schickst du bitte einen Kollegen in den Pfandraum.“ Vor dem Ausgang läuft mir die Dame entgegen. Sie wirkt verwirrt, fast wie ein Kind, das im Supermarkt verloren gegangen ist.
Im Pfandraum kommen zwei Mitarbeiter dazu. Einer öffnet die Türen der Maschinen, drückt auf Knöpfen herum und erklärt dabei dem anderen Mitarbeiter, was er macht.
„Ich habe acht Flaschen darin. Zwei Euro“, sagt die Dame zu ihm. Sie schwirrt die ganze Zeit nah um ihn herum, als hätte sie Angst, dass ihr Bon verschwindet, wenn sie nicht genau aufpasst.
„Halten Sie bitte Abstand“, sagt der Mitarbeiter plötzlich. Ich zucke innerlich zusammen. „Halten Sie bitte Abstand.“ Ein Satz, den ich lange nicht gehört habe, ein Satz aus Zeiten der Pandemie. „Halten Sie bitte Abstand.“
„Ja“, die Frau tritt sofort einen Schritt zurück, als hätte sich in ihr eingebrannt, welche Reaktion dieser Satz verlangt. „Acht Flaschen, zwei Euro“, wiederholt sie. Sie blickt sich zu mir um: „Ich kaufe erst ein, wenn ich meinen Zettel habe.“
Ich spüre Mitleid, ohne genau zu wissen, was mich berührt. Dass ihr die zwei Euro so wichtig sind oder weil sie vielleicht mit den Pfandflaschen etwas Größeres kontrollieren und in Gewahr halten muss. Hinter uns bildet sich eine Schlange. Menschen mit Kästen voller leerer Mehrwegflaschen stehen da und starren stumm auf die zwei Mitarbeiter.
Der eine drückt Knöpfe und schließt immer wieder die Tür des Automaten, doch die Störungsanzeige blinkt weiter. Er reinigt nun mit Desinfektionsmittel das Band, auf das sonst die Pfandflaschen geschoben werden.
Auf einmal springt der Automat an. Die Pfandanzeige leuchtet hell. Der Mitarbeiter dreht sich um: „Sie können nun Ihre Flaschen hineintun“, sagt er zu mir. Die Frau sieht ihn panisch an: „Ich habe meine schon reingetan. Der Zettel ist drin!“
Der Mitarbeiter blickt für einen Moment, als wüsste er nicht, ob er ihr glauben soll. „Ich habe es gesehen“, sage ich. Der Mann nickt. „Gehen Sie nach vorne und holen Sie sich die zwei Euro an der Kasse.“ Schnell huscht die Dame davon, ohne sich zu bedanken.
Ich werfe meine Flaschen in den Automaten. Hinter mir spüre ich die Ungeduld der Schlange. Dann verlasse ich so schnell ich kann diesen Ort.