erschienen in der Kolumne „Zwischen Menschen“, in taz. die Tageszeitung, 3.9.2021
Ich vertraue in letzter Zeit immer mehr darauf, dass die Dinge passieren. Dass sie einem zufallen. Dass sich alles so zusammenrückt, wie es sein soll. Ich versuche mich bewusst in diesem Vertrauen zu üben. Denn am Ende fügt sich manches doch so, wie man es nie für möglich gehalten hätte. In den Stunden der Sorge, in denen man versucht, alles fertig zu planen, ist es unvorstellbar, welche Wendungen passieren können. Unvorhergesehene. Die eigene kleine Vorstellung übertreffend.
Gestern war es wieder so.
Eine Kollegin und ich wollten eine Arbeitsplatte gegen eine größere austauschen, um bei ihr zu Hause nebeneinander am Computer arbeiten zu können. Meine Kollegin hatte das schon länger vorgehabt, aber gezögert, weil sie kein Auto hatte. Wir überlegten, wie wir die Platte transportieren könnten. Ob sie zu schwer war, um sie zu Fuß zu tragen. Wir zögerten. Dann beschlossen wir, es zu probieren.
Wir trugen die Arbeitsplatte zusammen aus dem vierten Stock hinunter und dann eine lange, kilometerlange Straße entlang. Es war warm. Die Platte war schwer. Der Weg zog sich. Wir wechselten zwischendurch die Position. Das Tragen erschöpfte mich. Ich stellte mir vor, dass wir noch den ganzen Weg mit der Last zurück mussten.
Endlich erreichten wir das Büro, in dem meine Kollegin eine andere Arbeitsplatte gelagert hatte. Wir wechselten sie mit der alten aus.
Die neue Platte war noch größer und schwerer. Wir legten sie uns nun waagerecht auf die Köpfe, meine Kollegin ging vorn, ich hinten. Mit emporgestreckten Armen trugen wir sie voran, die Last auf dem Kopf. Doch schon nach ein paar Metern merkte ich, dass es so nicht funktionieren würde. Die Platte war zu schwer. Da überholte uns ein Mann mit einer Schubkarre, ein Kind lief neben ihm. Die beiden schauten, wie wir die Platte auf den Köpfen trugen. An einem Container leerte der Mann die Schubkarre aus.
„Sie können uns nicht zufällig ihre Karre ausleihen?“, rief ich im Scherz.
„Doch. Wie weit habt ihr es denn?“
„Die ganze Straße hinunter.“
„Dann nehmt sie“, sagte er, „aber bringt sie wieder zurück.“
Wir legten die Platte waagerecht auf die Schubkarre, sodass sie weit nach vorn stand. Es war nun leichter. Eine von uns schob, die andere achtete darauf, dass die Platte nicht verrutschte. Zwischendurch drehten wir die Platte um. Sie hatte auf einer Seite Querbalken, wir legten diese nun so am Rand der Schubkarre auf, dass die Platte nicht rutschte. Zuerst schien es gut zu gehen, doch dann bewegte sich die Platte wieder. Wir drehten sie noch einmal um, um nach einer Lösung zu suchen.
Da kam ein Radfahrer vorbei. „Ihr müsst die Platte umdrehen!“, rief er.
„Haben wir schon versucht!“
Der Mann blieb stehen. „Soll ich helfen?“ Er stieg vom Rad. Ich spürte, dass meine Kollegin neben mir still wurde. Ihr schien es nicht zu gefallen, dass er meinte, uns helfen zu können, obwohl wir seine Lösung schon ausprobiert hatten. Doch ich war müde, der Weg war noch lang. „Ich habe nichts zu tun“, sagte der Mann, „zumindest jetzt.“ Ich spürte, dass er helfen wollte. Ohne Wenn und Aber.
„Warum nicht“, sagte ich.
Wir überließen ihm die Schubkarre. Ich schob sein Rad. Er schien selbst ganz erfreut zu sein. Ich schaute zu, wie dieser fremde Mensch unsere Platte schob – mit einer Schubkarre, die wir gerade geliehen hatten. Wie sich die Dinge zusammengefügt hatten.
Dann kamen wir vor dem Haus an. „Wie weit müsst ihr hoch?“ Meine Kollegin zeigte zum Dach. Der Mann nahm die Platte und trug sie bis in den vierten Stock. Dann verabschiedete er sich, ohne groß auf unseren Dank einzugehen. Oben schauten wir uns an, froh darüber, dass die Platte da war.
„Das hätten wir auch allein geschafft“, sagte meine Kollegin.
„Ja, aber so war es leichter.“
Foto (Symbolbild): Christa Pfafferott