Für das Magazin „Lerchenfeld“ der Hochschule für Bildende Künste Hamburg habe ich über die Methodik meiner künstlerisch-wissenschaftlichen Promotion geschrieben. 2014 habe ich hier meine Promotion zum Dr. phil. in art. absolviert und in diesem Rahmen den Film „Andere Welt“ produziert und die Dissertation „Der panoptische Blick“ geschrieben.
Meine künstlerisch-wissenschaftliche Promotion setzte sich zu gleichen Teilen aus einem künstlerischen und einem wissenschaftlichen Part zusammen: Dem 79-minütigen Film „Andere Welt“ und der Dissertation „Der panoptische Blick“.
In schriftlicher und visueller Auseinandersetzung analysiert die Arbeit reziproke Machtverhältnisse in institutionell bedingten Machtgefügen. Den Ausgangspunkt der Betrachtung bildet die Frauenstation einer Klinik für Forensische Psychiatrie.
Die Untersuchung in der Klinik erstreckte sich über einen Zeitraum von zwei Jahren, in denen ich dort hospitierte, eine Fotoserie und schließlich den Film produzierte. Während der Forschungs-Etappen wurde signifikant, wie die Patientinnen und Patienten der Klinik durch Zuweisung in Diagnosen, Delikte und sogenannten „Lockerungsstufen“ einem panoptischen – einem allessehenden – Blick ausgesetzt sind, wie sehr Michel Foucaults Annahmen der Objektivierung von Subjekten durch Teilungspraktiken und Delinquenzbildung auf den Mikrokosmos der Klinik zutreffen. Teilweise ergaben sich Situationen, bei denen es schien, als hätte sich Foucaults „Überwachen und Strafen“ in einem konkreten Beispiel materialisiert.
Der Film ist so maßgeblichdurch die Machtanalysen Foucaults geprägt worden. Wechselseitig speist sich die theoretische Auseinandersetzung aus dem Film. Dabei bilden unter anderem Foucaults Macht-Theorien in „Überwachen und Strafen“ und seine Analysen disziplinarer Systeme den analytischen Leitfaden.
Bei meiner künstlerisch-wissenschaftlichen Promotion wäre damit der Film nicht ohne die Theorie, die Theorie nicht ohne den Film zu denken gewesen.
Ich beforschte das abgegrenzte Untersuchungsfeld der Klinik als „Heterotopie“, aus dem griechischen übersetzt„anderer Ort“, auf ihre diskursiven Machtverhältnisse. Später prägten meine Erfahrungen dort meine theoretischen Überlegungen und Weiterführungen maßgeblich.
Zu Beginn meiner Arbeit stand die Fragestellung: Wie gehen die, die Macht haben, mit ihrer Macht um? Ich beabsichtigte, einen Film über die Pflegerinnen zu drehen, die unter anderem – mit Schlüsseln ausgestattet – sehr viel Macht besitzen. Während der Untersuchung, die ich unter Berücksichtigung von Foucaults Analysen durchführte, wurde jedoch signifikant: Das Personal hat nicht die Macht. Niemand hat sie. Die Macht ereignet sich.
Sie ist ein Prozess, der erst durch mächtige und ohnmächtige Positionen gebildet wird, die sie gegenseitig konstituieren und legitimieren und so ständig neue Kräfteverhältnisse produzieren. Wie diese Mechanismen beispielhaft verdichtet im Feld der Klinik entstehen und wirken, das habe ich mit meiner Arbeit herausdestilliert.
Dabei bleibt die Untersuchung jedoch nicht im geschlossenen Disziplinarsystem stehen. Denn das Machtgefüge wurde durch eine extra-institutionelle Ebene verändert: Durch uns – das Kamerateam (bestehend aus drei Personen):
- weil wir während unserer 25-tägigen Drehzeit das Machtgefüge selbst prägten
- weil wir mit unserem Film die Machtverhältnisse konservierten, sie außerhalb des Mikrokosmos sichtbar machten, und damit schließlich neue Macht konstituierten.
Damit hat auch das Macht-Dispositiv des panoptischen Blicks der Kamera eine maßgebliche Rolle in der Untersuchung eingenommen.
Schließlich führt die Arbeit die Mechanismen des abgeschlossenen Mikrokosmos weiter. Die Arbeit zeigt, dass die „andere Welt“ der Klinik von Anfang an keine andere war. Sie steht symptomatisch für das freie Außen, „in dem die Individuen durch Überwachung und Kontrolle zunehmend gefangen genommen werden.“[1]
Derzeit arbeite ich wieder an einem künstlerisch-wissenschaftlichen Projekt mit dem Titel „Die Ecke“, zu dem ich filme und forsche.